Montag, 24. September 2012

Namensliste darf bei grenzüberschreitender Insolvenz auch von Administrator nach englischem Recht geschlossen werden

Das Problem:
Bei grenzüberschreitenden Insolvenzen innerhalb der Europäischen Union kann nach der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 (EuInsVO) in dem Mitgliedstaat, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat (center of main interests/COMI), das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet werden. In diesem Fall gilt bis zur Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen in allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Ausnahme Dänemarks grundsätzlich das Recht des Staates, in dem das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist. Art. 10 EuInsVO macht davon für Arbeitsverhältnisse eine Ausnahme. Danach gilt für diese „ausschließlich“ das Recht des Mitgliedstaats, das nach dem internationalen Privatrecht auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist. Diese Bestimmung ist unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass bei Anwendbarkeit des deutschen Arbeitsrechts auch ein Administrator nach englischem Recht als Insolvenzverwalter iSd. § 125 InsO anzusehen ist und daher einen Interessenausgleich mit Namensliste abschließen kann, dem die Wirkungen des § 125 InsO zukommen.

Der Fall:
Der Arbeitnehmer war seit 1991 bei der Arbeitgeberin, die zu einer weltweit agierenden Unternehmensgruppe gehört, als Manager Business Finance beschäftigt. Im Januar 2009 leiteten weltweit verschiedene Gesellschaften dieser Unternehmensgruppe Insolvenzverfahren ein. Am 14. Januar 2009 eröffnete der High Court of Justice das Administrationsverfahren als Hauptinsolvenzverfahren iSd. EuInsVO über das Vermögen der Arbeitgeberin und bestellte drei Administratoren, die einzeln oder gemeinschaftlich tätig werden konnten. Nach englischem Recht vertreten diese die Gesellschaft, treten also anders als ein deutscher Insolvenzverwalter nicht in die Arbeitgeberstellung ein. Sie haben ua. die Befugnis, Arbeitsverhältnisse zu kündigen. Am 27. Juli 2009 kam für die Arbeitgeberin, die dabei von einem der drei Administratoren vertreten wurde, ein Interessenausgleich mit Namensliste zustande. Der Arbeitnhmer war auf der Namensliste aufgeführt. Der Arbeitnehmer erhielt eine Kündigung zum 30. November 2009. Mit seiner Kündigungsschutzklage macht der Arbeitnehmer ua. geltend, der Administrator habe keinen Interessenausgleich gem. § 125 InsO vereinbaren können; nach deutschem Recht könne dies nur ein Insolvenzverwalter iSd. InsO.

Die Entscheidung:

Bereits die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Auch die Revision des Arbeitnehmers hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Im Geltungsbereich der EuInsVO ist ein Administrator, der in der vom englischen Insolvenzrecht vorgesehenen Weise für den Schuldner handelt, auch befugt, einen Interessenausgleich nach § 125 InsO abzuschließen. Nur mit dieser Auslegung lassen sich effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insolvenzverfahren, wie sie Zweck der EuInsVO sind, sicherstellen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. September 2012 - 6 AZR 253/11 -
Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 15. Februar 2011 - 13 Sa 767/10 -

Rechtsanwalt Martin Bechert,  
Fachanwalt für Arbeitsrecht,
Berlin 

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